Die Lektion des Lebens: Sei du selbst

In den letzten Tagen und Wochen ist mir eine wichtige Lektion bewusst geworden, die mein Leben gerade schenkt.

Sei du selbst. Das klingt einfach, beinhaltet jedoch die Tatsache, dass man als man selbst immer polarisiert. Es scheint, als ob man entweder für mich oder gegen mich ist, aber stimmt das wirklich?

Wenn ich nach „Polarisieren“ bei Wikipedia suche, finde ich folgendes: „Unter Polarisierung versteht man in politischen Zusammenhängen entweder eine zu Kontroversen führende soziale Differenzierung oder eine Verstärkung von Meinungsunterschieden. Oft ist beides miteinander verbunden.“ (Quelle)

…Oft ist beides miteinander verbunden… Diesen Teil der Definition finde ich so wichtig!

Balance zwischen Licht und Schatten

Kein Licht ohne Schatten, und umgekehrt. Spirituelle Gelehrte senden oft die Botschaft: „Wir sind alle miteinander verbunden.“ Letztendlich gibt es keinen anderen – du triffst immer nur dich selbst“, wie Eckhart Tolle sagt. (Ultimately, of course, there is no other and you are always meeting yourself. Eckhart Tolle / Stillness Speaks)

Ich habe vor, hier zu teilen, was mich bewegt, und vielleicht bewegt es auch dich. In welche Richtung?
Mein Gedanke und meine Erfahrung dazu:
Es wird wohl immer etwas davon in uns selbst sein, wenn es ausgelöst werden kann.

Die Kraft der Verbindung und Selbstreflexion

Warum ich darauf komme? Die Antwort von M., ganz unten, ist etwas, das die ganze Welt lesen sollte.

Die Kostbarkeit des Lebens und die Verantwortung für den eigenen Körper

Wir haben nur ein Leben, und meiner Meinung nach gehen wir oft viel vorsichtiger mit unseren Handys und anderen Gegenständen um als mit unserem Körper und unserem Leben. Ich erlebe immer wieder, dass der Körper oft erst beachtet wird, wenn er nicht richtig funktioniert.

Ich war genauso. Eine Krankheit hat nicht gereicht, auch nicht ein Burn-out. Erst eine und dann eine weitere Lungentransplantation haben mich verstehen lassen, wie unendlich groß unsere Verantwortung und Macht im Umgang mit unserem Leben und unserem Körper sind. Krankheit als Weg, Symbol oder Sprache der Seele, schreibt Ruediger Dahlke in seinen Büchern.

Wert des Lebens erkennen, bevor es zu spät ist

Und auch wenn ich nicht immer mit dem übereinstimmen kann, was er sagt und schreibt, bin ich doch der Meinung, dass wir besser auf unsere Körper hören sollten, aber vor allem darauf achten sollten, dass es gar nicht erst so weit kommt.

Muss ich erst sterben, um zu leben, singt Falco in seinem Lied „Out of the Dark (Into the Light)“ – ist der Mensch so gebaut? Verstehen wir den Wert erst dann, wenn es weg ist?

Ein veränderter Blick auf die Welt als Transplantierte Patientin

Als Transplantierte Patientin weiß ich heute noch viel mehr um den Wert des Lebens, und als TX-Patient ist der Blick auf die Welt ein anderer

Vor kurzem schreibt eine Mit-Transplantierte in einen Chat: „Heute ist etc ganz besonderer Tag für mich: Vor 20 Jahren kam der Anruf! Dann wochenlang Tiefschlaf, lange monatelang Spital, sah Reha – und an dann gings nur noch bergauf!

Es kam eine freundliche Antwort, worauf hin sie schrieb:

Danke Name! Es ist so ein emotionaler Tag. Man empfindet unheimlich starke Dankbarkeit und lässt so vieles, was einem dieses Geschenk schon alles möglich gemacht hat, nochmal Revue passieren. Man wird fast demütig.

Du bist nicht demütig genug!

Prompt kam ein kleiner erhobene Zeigefinger – aber was ist „absolute“ Demut und was gilt als „angebracht“?

Verzeihung liebe M., wenn ich es etwas anders ausdrücke: Ich verstehe den Satz „Man wird fast demütig“ nicht. Nach 20 Jahren erfolgreicher Transplantation ist meiner (!) Meinung nach, „absolute“ Demut angebracht, denn das was Dir geschenkt wurde, ist eigentlich Gnade. Du wärest seit 20 Jahren tot, wärest Du nicht transplantiert worden. Die zweite Gnade die Dir widerfahren ist, dass Dein transplantiertes Organ soooooo lange durchgehalten hat. Ein Glück, dass nicht allen zuteil wird. Ich bin jetzt fast vier Jahre lungentransplantiert und außer demütig und zutiefst dankbar, gar nichts mehr. Ich wäre schon fast 4 Jahre am Zentralfriedhof, so aber darf ich leben und ich empfinde dies als ganz große Gnade, es ist eigentlich alles was jetzt an Leben für mich passiert, nur mehr Gnade, die ich demütig annehmen darf. Den lieben Wünschen von F., schließe ich mich sehr gerne an!!!“ Name bleib anonym

Es kam auf diese Antwort noch eine Bestätigung, die später gelöscht wurde. Ich habe mich gewundert und es hat mich traurig gemacht, warum es nötig ist, den anderen zu mehr Demut ermahnen zu müssen. Wer bestimmt wie demütig oder dankbar wir sein müss(t)en?

Die Antwort kommt mit einem freundlichen Gesicht, aber braucht es eine Ermahnung oder Erinnerung von einem anderen uns zu erinnern? Wie persönlich dürfen Gefühle sein und wie schwierig ist es sie mit Worten auszudrücken?

Wäre die Welt nicht viel mehr in Frieden, wenn wir dem anderen sein anders-sein und anders-fühlen ein klein wenig mehr sein lassen.
Immer vorausgesetzt, es kommt kein Mensch oder Tier zu schaden. Ich finde wir brauchen viel mehr mehr maitri auf der Welt. Der Begriff kommt aus dem Buddhisms und bedeutet liebende Güte,  (Sanskrit मैत्री maitrī f.,) Lies dazu gerne hier

Ich muss schreiben, wenn mich etwas traurig macht

Ich schreibe nicht sehr gern in Gruppen, meistens schreibe ich den Menschen persönliche Nachrichten, aber es war mir ein Bedürfnis zu antworten. Muss ich still sein? Manchmal wäre es wohl klüger nicht Stellung zu beziehen, zu polarisieren und sich auch angreifbar zu machen, …

„Liebe M! Ich wünsche dir an diesem besonderen Tag alles was man jemandem wünschen kann, der so stark ist, bereitwillig und freudvoll so viele Herausforderungen annimmt, sich für andere Menschen engagiert und so viel für diesen Status tust wie du. Es ist ein Glück, jedes geschenkte Jahr ein großes Glück dass wir alle haben und mehr oder weniger gut nutzen. Jede/r auf seine Weise. Jede/r nach seiner Fasson. Ob du nun „genug“ Demut aufbringst ist meiner Meinung nach egal. Wir haben alle unsere Geschichten, und ich hänge mich an fast keinem Wort mehr auf, das gesprochen wird. Wir dürfen als Menschen hier auf dieser Welt weiter leben und mein Wunsch ist, dass wir alle als Menschen wachsen und so wie du Offenheit und Toleranz üben können. Leben lernen 2.0. – Manchmal sogar 3.0
Das allerbeste für dich – einfach so von Herz zu Herz und Lunge zu Lunge Danke, dass du deine Dankbarkeit und einen Teil deines Weges mit uns teilst! Rani“

Frieden als Antwort

Die Antwort von M. ist der Grund warum ich diesen Blog hier überhaupt teile, denn sie berührt mich und M. hat eine dermaßen friedvolle Weise gefunden zu Antworten und dabei in Worte zu fassen, was man empfinden kann, wenn man das Leben ein weiteres Mal geschenkt bekommen hat. Ich freue mich, dass sie mir die Erlaubnis gegeben hat, ihre Worte hier zu teilen.

„Danke Dir, liebe Rani!
Deine Wünsche und Worte bedeuten mir sehr, sehr viel.
Sie sind voller Kraft und Motivation.

Und ich sehe das wir Du.
Es sind Empfindungen in Worten schwer zu vergleichen, schon weil jeder die Begriffe unterschiedlich definiert und unterschiedliche Konnotationen mitschwingen.
Demut hat zB im religiös-kirchlichen Sinn andere Bedeutungen als im alt-griechischen und wieder anders als in psychologischer Wissenschaft, und innerhalb dieser sind bestimmte Bedeutungsinhalte in der einen Richtung inkludiert, woanders nicht.

Für mich schwingt mit Demut eine gewisse Passivität mit, ein Dienen, Unterwürfigkeit, sich ergeben, Bescheidenheit.
Ich weiß, dass das Konstrukt auch weitere andere Bedeutungsinhalte hat, wie Dankbarkeit und Wertschätzung gegenüber bestimmten Größen, aber eben auch diese. Das Selbst vergessen, die eigenen Schwächen und Grenzen akzeptieren.

Googelt man Demut, kommt als erstes Ergebnis: „…zum Hinnehmen der Gegebenheiten begründete Ergebenheit…“

Das bin so gar nicht ich und entspricht nicht meinem Leben und meiner Einstellung, auch im Zusammenhang mit der Transplantation.

Im Gegenteil, Eigeninitiative ist für mich essenziell! 
Sich einlassen auf die Herausforderung Transplantation heißt Grenzen und eigene Schwächen eben nicht akzeptieren und hinnehmen, sondern sie vielmehr durch Mut, Kraft, starken Willen und vor allem starkes Einstehen für sich selbst gemeinsam mit einem großen, engagierten Team zu durchbrechen, zu überwinden, Unmögliches möglich machen und der Welt zeigen, dass manchmal alles geht, wenn man nur richtig will.

Diesen Kampf aufzunehmen hat für mich viel mit Selbstwertschätzung zu tun, Demut ist definiert als ein sich klein machen vor starken Mächten.

Ich empfinde höchste Wertschätzung, Achtung und Dankbarkeit gegenüber denen, die das möglich machen und sich dafür einsetzen und uns ihr Engagement, ihr Wissen und ihre Kräfte zukommen lassen, aber eher auf Augenhöhe.
Medizinisch sagt man, die Ärzte wünschen sich heute nicht nur Compliance, sondern Adhärenz in der Arzt-Patient-Beziehung, also nicht nur Befolgung von Anweisungen, sondern eigene Initiativen, aktive Mitarbeit des Patienten bei der Entwicklung und Verfolgung des persönlichen Therapiekonzeptes.

Für mich ist es bei jedem von uns unsere Kraft, unser starker Wille, unsere konkreten Ziele, die wir in Eigeninitiative diszipliniert, zugleich freudig und überzeugt kontinuierlich verfolgen, auch mal gegen Widerstände dran bleiben.
Bei mir zB durch den regelmäßigen „außer Atem Sport“, um die Lunge optimal in Schwung zu halten und etwa eine BOS so lange wie möglich abzuhalten. Das regelmäßige Atemmuskeltraining, weil ich merke, dass in danach bei normalen Alltagstätigkeiten die Lunge viel besser belüfte und tiefer nach unten atme.

Es macht stolz, 20 Jahre geschafft zu haben, und unendlich dankbar.
Es gehört eine Riesenportion Glück dazu, eine Riesenportion fast schon übermenschliches Engagement unserer Ärzte und Betreuer, Unterstützung und Zuspruch von Angehörigen, und jedenfalls eine Riesenportion Selbstdisziplin von uns und eben die aktive Zielstrebigkeit mit Bewegung und allem, was den Erfolg unterstützt.

Diese Dankbarkeit für all das, diese unendliche, täglich, fast stündlich empfundene Dankbarkeit, in dieser Zeit, in diesem Land und unter diesem Gesundheitssystem zu leben, wo all das möglich ist, und Dankbarkeit diesem Theam, nein, den mehreren Teams von Menschen gegenüber, die sich über ihre berufliche Grundverpflichtung hinausgehend Tag und Nacht (teils auch ohne Nachtdienst) für mich eingesetzt haben – und mir das Leben mehrmals im Zuge größer Komplikationen und des langen Tiefschlafs nach der TX gerettet haben.

Und meiner Familie, den Freunden, all den Menschen, die mich bei Mut, bei psychischer Kraft und in diesem Willen gehalten haben.
Täglich wenn ich mit Pico die erste Spazierrunde gehe, blicke ich hoch, sehe zwischen den blättern der Bäume die Sonne durchblitzen oder den Wind die Äste bewegen, und liebe diesen Anblick der Welt, und weiß, der wäre mir – wenn es nur ein winziges Bisschen anders gekommen wäre und ein Bausteinchen von all dem gefehlt hätte – schon fast seit fast zwei Jahrzehnten verwehrt.“

Wie geht es dir, wenn du das liest?

Ich fand es so schön, dass ich den Impuls hatte, es hier zu teilen.

Michaela Hartl, die Verfasserin ist eine sehr beeindruckende Persönlichkeit! Lies hier über ihr berufliches Tun: https://8ung.net/