„Ich krieg‘ die Krise“

Kennst du dieses Gefühl? Und aktuell stecken wir mittendrin. In der Krise. Aber jede Krise ist doch eine Chance! Nicht wahr? Doch im Moment fühlen wir uns alle danach eher schreien zu wollen. Vor allem in den aktuellen Entwicklungen und einem drohenden Lock-Down #2. Ist das alles Wahnsinn oder auch nur ein Stück Geschichte, das wir miterleben. Manchmal hab ich mich das gefragt, wie es sich wohl anfühlt so mitten in einer Geschichte zu sein, in der Geschichte, in einer Zeit und in einem Raum, über den man später noch sprechen wird.

Wie immer muss ich lächeln, wenn dich daran denke, dass man vorsichtig sein muss, mit dem was man sich wünscht. Corona betrifft uns alle und es wird ein immer enger werdendes Korsett in dem wir uns nicht wohl fühlen, weil wir die große Freiheit, oder zumindest der Illusion davon erlegen sind. Freiheit beginnt im Kopf, da wo die Gedanken sich bilden. Corona löst Emotionen aus – und Emotionen kontrollieren uns, wenn nicht wir sie kontrollieren – so ähnlich heißt es auch im Yoga. In der letzten Zeit habe ich mich mitreißen lassen, habe zugelassen frustriert zu werden, ärgerlich, wütend. Habe mich hilflos ausgeliefert gefühlt, dem Virus, den Umständen und den Regelungen.

OM-Macht statt Oh-Macht 

So titelt das YogaJunkies-Magazin* wenn es um psychische Erkrankungen wie Depression geht. Sind wir alle in einer Depression? Natürlich ist es mühsam gerad. Ja, es stehen viele Unternehmer gerade vor einem kaum lösbaren Problem. Yogalehrer dürfen nur noch 5 Personen unterrichten oder in einem entsprechend großen Raum mehrere Gruppen „halten“. Wie das gehen soll, so dass sich alle TN gut konzentrieren können, weiß ich nicht. Im Sport genauso. Viele der Regelungen sind nicht nachvollziehbar. Es gibt keine Logik. Eine Zeit der Pausen, des Aufgebens, des Murrens, des Sich-Fügens, der Resignation und der Aufrufe zum Ungehorsam.

Und wo ist der Yoga?

Ich habe schon viele Krisen überstanden, Lock-Down! Das kenne ich wesentlich schlimmer, denn nicht hinaus können und nicht hinaus können sind für mich zwei verschiedene Dinge. Ich habe bereits zwei gesundheitliche Lock-Downs erlebt. Beim letzten Mal konnte ich mich von Ende November 2017 bis zu meiner Transplantation im Juli 2018 kaum bewegen. Yoga hab ich trotzdem gemacht. Mein Geist war nicht still, nur müde, denn wenn der Körper müde wird, kann auch der Geist weniger leisten.

Schon seit einiger Zeit bin ich hin und her gerissen zwischen dem, was ich als „Gerechtigkeits-Sinn“ verstehe und dem was ich auf meinem Yoga-Weg bisher gelernt habe. Insgesamt kann ich zusammenfassen: Das, was uns eine Krise bringt, können wir erst im Nachhinein sehen und jedes Mal wenn ich dagegen angekämpft habe, alle Versuche auszubrechen, unzufrieden zu sein haben sich angefühlt wie gegen Glas laufen. Extrem anstrengend und ich kam trotzdem nicht weiter. Erst als ich anfing mich in meiner Situation zu arrangieren, hat es begonnen mir schon während der Zeit etwas zu bringen.

Erinnerung an die Basis

Im Magazin des Deutschen Yogaforums gibt es einen Artikel von Mathias Tietke. Diese Ausgabe kam wohl während des ersten Lock-Downs heraus denn er schreibt über „Yoga in Zeiten der Pandemie“. MT erinnert daran, das das Zurückziehen der Sinne (Pratyahara) etwas zutiefst heilsames ist, erinnert daran, dass Ahimsa, die Gewaltlosigkeit einer der wichtigsten Regeln im Yoga ist und dass wir nicht vergessen sollten auch Kaivalya zu bewahren, Unabhängigkeit in der wir die Wahrheit durch Befragung schaffen. Im selben Heft erinnert Osman Yoncaova  daran, wie wichtig es ist, unseren Gleichmut nicht zu verlieren. Oh, wie habe ich da ertappt gefühlt. Gleichmut, das ist soo schwer – samatva – das gleiche seiend, wir sind eins. Wie schnell vergessen wir das und was transportieren wir als Yogalehrer? „Yogalehrer sind Praktizierende, die ihre Erkenntnisse laut aussprechen“ lese ich anderswo als Post, doch was lerne ich aktuell über mich? Loslassen und dem Strom des Lebens zu vertrauen ist es aktuell nicht.

Es ist leicht, sich vertrauensvoll zu zeigen, wenn nichts passiert, das unsere Existenz bedroht. Aber in einer Situation wie dieser sind wir gefragt und gefordert, noch tiefer in die Praxis des Yoga einzutauchen. Zu hinterfragen, was unsere Emotionen und Gefühle sind und die dahinterstehenden Bedürfnisse anzuerkennen, und trotzdem mutig und offen zu bleiben, für das was kommt. Ein steiniger Yoga-Weg. Doch haben uns unsere Krisen nicht auch gezeigt, wozu wir in der Lage sind? Haben sie uns nicht stärker gemacht? Manchmal glaube ich, es ist leichter zu ertragen, wenn das eigene Leben „bebt“ als wenn die ganze Welt auf einmal unsicher ist. Ist das vielleicht das unaushaltbare? Dass auf einmal soviel was wir als sicher empfunden haben auf einmal den Schleier der Illusion lüftet und sich als genauso wackelig erweist wie ein Surfbord auf stürmischer See?

Innehalten

Es ist ein Atem-Halten was uns gerade geschieht, doch es wird ein Nach-Corona geben. Es wird eine Zeit geben, in der es nicht mehr möglich und nötig sein wird, Panik zu verbreiten. Die Menschen werden weiter existieren, aber verändert. Denn jede Krise macht etwas mit dir. Jede Krise lehrt dich etwas, und wenn du es „richtig“ machst, birgt sie ein Geschenk für dich. Etwas, dass ohne sie nicht möglich wäre. Innehalten lässt dich auch den Moment nehmen, dich zu entscheiden, wie du reagieren willst. Ein Atemzug und ein Be-Sinnen reichen oft schon.

Geduld

Geduld haben, das kann man nur lernen, indem man sie kultivieren lernt. Gleichmut und Geduld. Haben wir das oder ist es für den nächsten Post besser wieder zu klagen, Mit-Gefühl zu bekommen, Zurufe weiterzumachen, durchzuhalten.

Ist eine Krise nicht auch die Möglichkeit zu beweisen, was der Yoga alles kann, abgesehen von einem gesunden Körper, auch einen gesunden, krisen-beständigen Geist zu entwickeln? Vertrauen zu haben und trotz der Katastrophe, die ich gar nicht abstreiten oder beschönigen will, den Mut nicht zu verlieren, den Yoga nicht aus den Augen und vor allem nicht aus dem Bewusstsein zu verlieren?

180 Grad

Ich mache eine 180 Grad wende, höre auf mich gegen den Strom zu stemmen und mich durch Widerwillen einengen zu lassen. Ich werde mir weiter den Wind ins Gesicht wehen lassen, nehme aber die Herausforderung an und plane Corona-Konforme-Yogaklassen. Auch weil ich mich selbst und meine YogaschülerInnen nicht gefährden will und weil ich das, was ich erfahren habe ausprobieren und kultivieren will. Eine Challenge wenn man so will. Positiv bleiben in Zeiten der Krise.

Zukunft

Ach, wie schön wäre es, einen Plan zu haben. Sicherheit. Ein Ablaufdatum für den Wahnsinn. Aber das gibt es nicht. Ein Impfstoff ist für mich nicht die Lösung für das Problem. Es ist so viel kaputt gegangen. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Aber es gibt kein absehbares Ende, auch wenn ich weiß, dass es ein Post-Corona geben wird. Wir Menschen leben Geschichte, er-leben Geschichte immer schon – mal mehr mal weniger betroffen, sind wir doch immer dabei. Die Zeit vergeht, die Natur schließt Lücken. Jeder Tag bringt Neues. Nicht nur neue Zahlen, sondern auch neue Chancen, neue Babies, neue Pläne und Projekte, neue Yogaklassen, neue Inspiration, jeden Tag geht das Jahr ein wenig weiter und Yoga hilft uns dabei das alles mit mehr Abstand und trotzdem mit viel Teil-Nahme zu meistern. Gerade wir, die Yogalehrer, hätten jetzt die Chance zu zeigen, was Gleichmut und das Ruhen in sich selbst wirklich bedeutet, es ist ein hartes Stück, wenn die Existenz bedroht wird, aber haben wir nicht Flexibilität auf unsere Fahnen geheftet?

Im Ozean des Gewahrseins macht es einen Unterschied, ob wir Moment für Moment mit unserem Beitrag die Enge oder die Weite wählen, ob wir Liebe und die Freude wählen. Wozu sich jede/r einzelne von uns entscheidet, ist ein Beitrag zum Ganzen. Was wir pflegen und fördern, jede Handlung, jeder Satz, jedes Lächeln, ist ein bleibendes Teilchen im Gewebe des Lebens auf diesem Planeten“ scheibt Osman Yoncaova am Ende seines Artikels über Verbundenheit im Yoga.

Ich bin dankbar für diese Erinnerung und diese Lektion im Yoga

Namaste

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