Wie man einen Menschen erkennt
Ein persönlicher Blick auf das Buch „How to Know a Person“ von David Brooks
Ich habe dieses Buch nicht einfach nur gelesen. Ich habe es angefangen zu lesen – das war rund um Weihnachten 2024. Es hat mich sofort angesprochen. Im April 2025 ist es offiziell erschienen. Es wird ein Buch werden in dem ich immer wieder lesen werde. Nicht, weil ich vergessen habe, was drinsteht, sondern weil ich tiefer verstehen will, was es bedeutet, einen Menschen wirklich zu erkennen. Vielleicht habe ich deshalb so lange gebraucht, es zu lesen: weil es mir erlaubt, mitzudenken, zu verweilen, mich selbst immer wieder mit neuen Augen zu sehen.
David Brooks schreibt darüber, wie wir einander sehen können. Und noch mehr darüber, warum wir es so oft nicht tun. Sein Buch ist kein psychologischer Ratgeber, sondern eine Einladung, sich aufrichtig für das Innenleben anderer zu interessieren. Und, ganz ehrlich: auch für das eigene.
Was mich fasziniert, ist diese Mischung: seine persönlichen Erfahrungen, seine ehrliche Bemühung, ein besserer Zuhörer zu werden, der immer weichere Blick auf die Menschen. Und gleichzeitig seine klare Analyse als Journalist, verbunden mit dem Wunsch nach persönlicher Reife. Man erkennt diesen Übergang, den er selbst beschreibt: vom Berufsmenschen hin zu jemandem, der für die Gemeinschaft da sein möchte.
Dieses Buch gehört für mich zur Allgemein-Mensch-Bildung. Es spricht so viele Punkte an, die wir im Menschsein verloren haben. Alle Stellen, die ich mir markiert habe, haben in mir ein inneres, heftiges Kopfnicken ausgelöst. Ein gefühlt lautes, inneres Ja.
Der Mensch hinter dem Gesicht
Brooks beginnt mit einer simplen, aber ehrlichen Beobachtung: Die meisten Gespräche bleiben an der Oberfläche. Wir übersehen einander. Nicht aus Böswilligkeit, sondern weil wir es nicht gelernt haben, präsent zu sein. „Menschen wollen nicht bewertet werden. Sie wollen gesehen werden.“
Dieses Buch hat mich erinnert: Wahrnehmen ist mehr als Zuhören. Es ist eine Haltung. Eine Bereitschaft. Eine Art, sich zu verlangsamen.
„Jede Bemerkung in einem Gespräch zeigt dem Gegenüber entweder Respekt oder Respektlosigkeit.“
Solche Gespräche fühlen sich oft riskant an – weil sie auf zwei Ebenen ablaufen: dem sichtbaren Thema und dem unsichtbaren Hin und Her der Gefühle. Wenn wir diese zweite Ebene vergessen, verlieren wir den Kontakt. Und manchmal den Menschen.
Empathie ist keine Technik. Sie ist eine Entscheidung.
Ich habe beim Lesen oft innegehalten. Besonders bei den Kapiteln über Empathie. Brooks beschreibt, dass empathisch zu sein nicht heißt, alles zu verstehen oder zu reparieren. Sondern: dazusein. Fragen zu stellen. Nicht die eigene Geschichte aufzudrängen.
„Wenn jemand an Depression leidet, versuch nicht, ihn aufzumuntern. Sei einfach da.“
Er schreibt über seinen Freund, der sich das Leben nahm. Und darüber, wie hilflos gut gemeinte Ratschläge machen können. Diese Passagen tun weh. Und gerade deshalb sind sie so wichtig.
Ich fand vor allem bei Konflikten und schwierigen Gesprächen gut, dass man dieses Buch richtig für sich selbst durcharbeiten kann. Es stehen Lösungen drinnen, Denkanstöße, Methoden, weiterführender Lesestoff. In Wahrheit könnte man sich über ein Jahr – wenn nicht ein ganzes Leben – mit den Inhalten beschäftigen.
Der Weg durch das Leid – und was es bedeutet, jemanden wirklich zu kennen
Brooks sagt: Um einen Menschen wirklich zu kennen, müssen wir wissen, wer er vor seinem Verlust war – und wer er danach wurde. Das hat mich tief berührt. Ich denke an viele Gespräche in meinem Leben, die erst durch diese Frage Tiefe bekommen haben: Was hat dich geprägt? Was hat dich verändert?
„Erfahrung ist nicht das, was man erlebt. Sondern das, was man daraus macht.“
Es war so schön, dieses Kapitel zu lesen, in dem er über Kultur schreibt. Und die Geschichte von dem Mann, der den Genozid überlebt hat und dann zurückkehrt, um in seiner Heimat als Arzt zu arbeiten. Wahnsinn.
Jemandem zuzuhören führt im Endeffekt erst dazu, jemanden wirklich zu kennen. Ohne dem anderen bedingungslose Offenheit entgegenzubringen, kann man ihn in seinem Prozess des Menschseins nicht erkennen.
Was bleibt
Dieses Buch ist keine leichte Lektüre. Es ist ein Spiegel. Und manchmal auch ein Weckruf. Aber es ist auch eine liebevolle Hand auf der Schulter, die sagt: Du kannst lernen, andere tiefer zu sehen. Und dich selbst auch.
Ich werde How to Know a Person noch lange nicht weglegen. Es wird mich noch lange begleiten. Es ist ein Buch zum Wieder-Lesen, weil man die Dimensionen die es beschreibt gar nicht auf einmal fassen kann. Auch für die Rezension habe ich fast 2 ganze Arbeitstage verwendet, weil es so viele intensive Kapitel hat.
„Im Dienst der Liebe sind nur die verwundeten Krieger tauglich.“
Dieses Buch ist mein Buch. Es hat alles: Verbindung, Tiefe, Struktur. Ich könnte sicher ein Jahr lang oder länger Podcasts über die Themen darin machen.
Ich möchte dir mitgeben: Betrachte dich mit Liebe als jemand, der auf dem Weg ist. Schau hin, wenn etwas weh tut. Und sei so liebevoll wie möglich mit allen deinen Anteilen.
Diesen Satz würde ich auch meinem 20-jährigen Ich schenken.
Und wenn du das Gefühl hast, die Welt ist verloren, du willst nicht hinschauen, nicht wachsen, nicht in Verbindung gehen – dann lies dieses Buch besser nicht. Es ist für Menschen, die aufbrechen wollen. Die an sich und andere glauben.
Ja, es kann gelingen, dass wir gemeinsam eine bessere Welt schaffen, in der wir uns selbst fördern und als Menschheit gemeinsam wachsen können.
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